2. Februar 2010

Same Same But Different

von Detlef Buck
Drehbuch Ruth Thoma


Ein junger Deutscher, der sich auf einer Reise nach Kambodscha in eine wunderschöne, bitterarme Prostituierte verliebt und auch dann noch zu ihr hält, als er in Deutschland von ihrer HIV-Erkrankung erfährt. Die auf dem Tatsachenroman von Benjamin Prüfer beruhende Geschichte erscheint wie die perfekte Vorlage für ein Herz-Schmerz-Melodram der übelsten Sorte. Eigentlich stellt man sich so etwas eher am Freitagabend in der ARD vor, aber erstaunlicherweise hat ausgerechnet der eher für seinen trockenen Humor als für schwülstige Love Stories bekannte Detlef Buck den Film gedreht. Und zumindest die Bilder sind ihm, vor allem in Kambodscha, so erlesen schön geraten, dass man sich ihrem Zauber kaum entziehen kann. Doch ist der Film erst einmal an seinem voraussehbaren Happy End angelangt (es sei hiermit verraten!), wundert man sich dann doch darüber, dass das Drama fast völlig ausgeblieben ist. Gab es überhaupt einen nennenswerten Konflikt? Und hat irgendein Zuschauer ernsthaft geglaubt, der jugendliche Held würde seine schöne, eher dezent an Aids erkrankte Freundin (ein schwacher Husten und eine nicht im Bild gezeigte Gürtelrose)  wirklich im Stich lassen? Oder argumentiere ich hier zu sehr aus schwuler Sicht, da sich doch zumindest die Schwulen über die letzten 25 Jahre an die Problematik der Beziehungen zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten gewöhnen mussten. Ist das Thema für Heteros tatsächlich noch ein Schocker?

Zumindest im Film scheint niemand ernsthaft etwas gegen die Beziehung von Ben und Sreykeo zu haben. Bens Bruder unterstützt die beiden vorbildlich und auch der Vater freut sich kindlich, als Sreykeo ihn am Telefon unbekannterweise Papa nennt. Im Hinblick auf das in letzter Zeit im Film wenig populäre Aids-Thema, werden Konflikte bestenfalls angerissen, niemals ausgelotet. Ansteckungswege werden gar nicht erst thematisiert, die Verwendung von Kondomen weder gezeigt noch diskutiert. Sicher, es handelt sich hier nicht um einen Aufklärungsfilm der Aids-Hilfe, doch der Film geht häufig erstaunlich verklemmt mit seinem Thema um: Nachdem Ben von Sreykeos Testergebnis erfahren hat, besucht er seine Freundin wieder in Kambodscha – aber statt dass die beiden Liebenden über Safer Sex reden oder ihn gar praktizieren, sehen wir Ben lediglich, wie er Sreykeo im Benutzen unterschiedlicher Zahnbürsten unterweist. Irgendwie scheint das symptomatisch für einen Film, der trotz aller exotischen Erotik seltsam keusch daher kommt. Jegliche Darstellung von Sex, sogar in der ersten Liebesnacht, wird vermieden, um jedem Voyeurismus-Vorwurf zu entgehen. (Ist dies ein weiteres Symptom der derzeit - nicht nur auf amerikanischen - Kinoleinwänden grassierenden Prüderiewelle? Es scheint, als würde sich die filmische Darstellung von Sex und Erotik nur noch auf Werbe-Clips, Hiphop-Videos und Porno-Websites beschränken). Obwohl der Film auf ein jugendliches Publikum abzielt, gibt er sich immer dann, wenn eine gewisse Explizitheit schon aus aufklärerischer Gründen angesagt wäre, merkwürdig vage und desinteressiert. Wichtige Fragen werden gar nicht erst angeschnitten: zum Beispiel, ob Ben mit Sreykeo ungeschützen Sex hatte oder nicht.

Erstaunlich auch, dass Ben angesichts der katastrophalen medizinischen Versorgungslage in Kambodscha nie auf die nahe liegende Idee kommt, Sreykeo einfach nach Deutschland zu holen. Im Vermeiden, diese realistischste Option auch nur zu thematisieren, wirkt der Film merkwürdig realitätsfern.

Am interessantesten ist der Film immer dann wenn er das Aids-Thema außer acht lässt und stattdessen die kulturellen Differenzen zwischen Kambodscha und Deutschland thematisiert. Buck biedert sich in dieser Hinsicht niemals an und die Kambodschaner und ihre Lebensumstände werden nüchtern und realistisch gezeigt. Es geht um die schmerzhaften Konsequenzen, die sich aus der ökonomischen Kluft zwischen beiden Länder ergeben, nicht nur dann, wenn es um die Verfügbarkeit von HIV-Medikamenten geht.

Immer wieder stellt sich die Frage nach den ökonomischen Bedingungen einer eigentlich unmöglichen Liebe: Sei es, dass Sreykeo  nach der ersten romantischen Nacht mit Ben kühl ihr Honorar fordert, dass ihre Mutter den deutschen Übernachtungsgast mit verhältnismäßig horrenden 40 Dollar an Kost und Unterbringung beteiligen will oder dass der Rest von Sreykeos Familie angeblich traditionsbedingt von Ben den Bau eines Hauses für die ganze Sippe einfordert. Bei einem derartigen ökonomischen Gefälle wie zwischen den Heimatländern der Protagonisten sind Ökonomie  und Liebe von vornherein unentwirrbar miteinander verbunden, so dass ihre Beziehung gar nicht erst nach westlichen Maßstäben beurteilt werden kann – und wenn man das erst akzeptiert hat, bekommt man sogar Verständnis, dass Sreykeo sich trotz der regelmäßigen Zahlungen aus Deutschland weiter prostituiert.

Gegen Ende hat der Film dann seinen ehrlichsten Moment. Sreykeo bittet Ben um Hilfe für eine ebenfalls HIV-infizierte Bekannte. Das abgemagerte Mädchen, das bezeichnenderweise nicht ganz so hübsch wie Sreykeo ist, hat Ben schon eine Weile aus unendlich traurigen, bittenden Augen beobachtet. Doch Ben, der bereits mit den finanziellen Ansprüchen seiner Freundin und ihrer Familie überfordert ist, antwortet ohne zu Zögern mit diesem furchtbar traurigen Satz, mit dem sich westliche Touristen in Dritte-Welt-Ländern aus solchen Situationen retten: "Ich kann nicht jedem helfen."