14. Januar 2011

Mein Film des (letzten) Jahres: Drei

Auch wenn ich nie ein großer Tom-Tykwer-Fan war, ist  Drei für mich vielleicht der beste Film des Jahres 2010. Tykwers frühere deutsche Arbeiten wirkten oft wie ambitionierte Versuche eines Filmstudenten, den Mangel an Inhalt und schlüssiger Dramaturgie mit einem Übermaß an Tempo und Stil wettzumachen. Und seine letzten beiden Hollywood-Ausflüge  Das Parfüm und The International gingen ziemlich daneben. Doch wenn man  Drei  nun ansieht, hat man den Eindruck, der Regisseur sei endlich bei sich selbst angekommen: ein selbstsicherer, in sich ruhender, kluger Film - immer hellwach, verspielt und vom Leben begeistert.

Es gibt momentan keinen anderen deutschen Regisseur, der es schaffen würde, ein derart hohes Budget für eine auf dem Papier eher kammerspielartige Außenseitergeschichte zusammen zu bringen. Sein Geld sieht man dem Film in jeder Minute an, dennoch wirkt er niemals unangenehm protzig -  im Gegenteil. Gerade das Missverhältnis zwischen kleiner Geschichte und aufwendiger Umsetzung lässt Drei verschwenderisch charmant wirken. Im verschmuddelten Berlin der Gegenwart beschwört Tykwer überlebensgroße Hollywoodbilder herauf: Perfekt ausgeleuchtet und opulent, wie man es im aktuellen deutschen Kino ganz selten sieht. Vom verheißungsvoll leuchtenden Badeschiff im Winter bis zur historischen Pracht des Martin-Gropius-Baus. Doch immer wieder besinnt sich diese konsequente Überstilisierung aufs Alleralltäglichste: Wenn Sophie Rois  eine Gilbert und George-Postkarte von der schmuddligen Küchenwand löst, um die sich in zwanzig Jahren Beziehungs-WG ein hässlicher Fettrand gebildet hat: "Iiiih - wir müssen renovieren!".

Und dann die drei Hauptdarsteller des Films, die weder Traumkörper noch standardmäßig 'schöne' Filmgesichter haben (man stelle sich das Ganze mal als Hollywood-Remake vor, mit, sagen wir, Brad Pitt, Matt Damon und Gwyneth Paltrow): Rois, Striesow und Schipper wirken wie Berliner Freaks von nebenan, und die Kamera lässt sie auf eine sehr eigene, unspektakuläre Art glamourös wirken.

Die im ernsthaften deutschen Beziehungs-Kino allgemein vorherrschende Kargheit ersetzt Tykwer durch eine ungenierte Ästhetik des Zuviel: der Film ist hemmungslos mit Themen, Geschichten und Spielereien überladen. So finden sowohl der Krebstod von Simons Mutter als auch die verschiedenen Hobbies des Stammzellenforschers (!) Adam wie Chorsingen, Segeln und Fußball Platz.

Auch thematisch ist Tykwer mit Drei ein großes Wagnis eingegangen. Es wirkt heutzutage schon beinahe verwegen,  im Kino noch von Sexualität und Leidenschaft erzählen zu wollen - in einer Zeit, in der Sex mittlerweile fast völlig von der großen Leinwand  verbannt ist zugunsten von  Internetpornos,  Hiphop-Videos und Dating-Shows. Eine Zeit, in der schwule Figuren - wie seit eh und je im Mainstream - vor allem als asexuelle Pausenclowns vorkommen und in der jedes Beziehungskonzept jenseits der monogamen Zweierkiste argwöhnisch bekrittelt und verworfen wird.

Das große Wunder von Drei ist, dass Tykwer sich bei der Dreiecksgeschichte konsequent gegen das große Drama entschieden hat - die altbekannten, verzweifelten Eifersuchtsszenen bleiben einfach aus: keine Vorwürfe, keine Tränenausbrüche,  keine Wutanfälle - stattdessen konzentriert sich Tykwer auf die schönen, feinen, anrührenden und poetischen  Momente - und so erfahren wir in Drei etwas  über die Zartheit von anonymen Sex und das utopische Potential einer nicht ausschließlichen Liebe.

Drei ist also genau das, was der desillusionierte Kinogänger in dieser durchkommerzialisierten Zeit  bitter nötig hat. Im Vergleich mit der durchaus sehenswerten amerikanischen Lesbenfamilien-Komödie The Kids are All Right wird deutlich, wie sehr Tykwer auch mit dem Ende von Drei über das hinausgeht, was im amerikanischen Kino schon als gewagt gilt. Während am Ende des Kids-Films der sympathische Möchtegern-Daddy Mark Ruffalo wie ein Fremdkörper verstoßen wird, um die Familienstruktur zu bewahren, erschafft Tykwer am Ende von Drei ein betörend schönes Schlussbild, das die Frage aufwirft, was sonst noch alles möglich wäre.

Ach ja -   Drei hat übrigens auch noch einen der besten Vorspänne der Filmgeschichte!