30. November 2010

Life during Wartime von Todd Solondz

"Are u still wet, mom?"
"No, I wiped it off with a paper towel."
Todd Solondz' großartige Fortsetzung seines Films Happiness von 1998 hat leider keinen deutschen Verleih und wurde in Berlin letzte Woche zum ersten Mal im Rahmen des Filmfestivals Around the World in 14 Films gezeigt. Offenbar wurde dem Film trotz des Erfolgs seines Vorgängers der bitterböse, schwarzhumorige Umgang mit unbequemen Themen  zum Verhängnis - der offenbar noch weniger in die heutige Zeit der einfachen Wahrheiten und Schwarz/Weiß-Malerei zu passen scheint: die Themen sind Pädophilie (in Zusammenhang mit einer kritischen Auseinandersetzung um Kinder- und Erwachsenensexualität), Selbstmord und Zynismus - die Bösartigkeiten und  Lebenslügen einer sich im Krieg befindendenen Nation.

Life during Wartime ist ein intensiver, ergreifender und zugleich extrem komischer Film - mit brillanten Dialogen und fantastischen Schauspielern.  Es geht um die gleichen Charaktere wie in Happiness 10 Jahre später, alle werden jedoch von anderen  Schauspielern gespielt - was erstaunlicherweise  wunderbar funktioniert. Die Jordan-Schwestern sind mittlerweile über 40 - und das Leben ist nicht gerade milde mit ihnen umgesprungen. Die zarte, naive Joy muss sich noch immer mit alptraumhaften Beziehungsproblemen herumschlagen, die vor Zynismus strotzende Schriftstellerin Helen hat mittlerweile Karriere in Hollywood gemacht und fickt mit einem gewissen 'Keanu', die nur scheinbar robuste Hausfrau Trish knüpft gerade wieder erste zarte Liebesbande, während ihr wegen Kindesmissbrauch verurteilter Ex-Mann Bill aus dem Gefängnis entlassen wird und wieder Kontakt zu seinem ältesten Sohn aufnimmt. Doch der eigentliche Star des Films ist Trishs und Bills pubertierender jüngster Sohn Timmy, der auch das Filmplakat ziert.

Zur Zeit gibt es keinen Filmemacher, der sich so radikal und unbequem mit der Sexualität von frustrierten Erwachsenenen und den Problemen altkluger Kindern auseinandersetzt wie Solondz, der bei aller Lust an Provokation und Geschmacklosigkeiten auch vor großen philosophischen Fragen nicht zurückschreckt: Was bedeutet es, zu vergeben und zu vergessen? Die Kinder bzw. Teenager in Solondz Filmen beschäftigen sich auf das Ernsthafteste mit solchen Problemen. Von Welcome to the Dollhouse bis Life during Wartime sind sie alle Reinkarnationen des gleichen Typs: sommersprossige, bebrillte Nerds, nicht sonderlich hübsch aber erschreckend altklug, frühreif und unkindlich. Und dennoch auf eine sehr spezielle Weise unschuldig, wahrheitsliebend und konsequent. Offenbar sind sie Reinkarnationen von Solondz selbst, der mit einer ganz ähnlichen Mischung aus Bösartigkeit, Mitgefühl und unschuldiger Neugier an seine Film-Figuren herangeht. Unbedingt empfehlenswert!