23. November 2011

Kurzkritiken: Cheyenne, A Dangerous Method, Fenster zum Sommer, Tintin, Contagion, Melancholia


Cheyenne - This must be the Place
Erstaunlich, dass ein Film mit einer so sperrig-verrätselten Geschichte derartig groß und aufwendig produziert wird. Trotz der Unzugänglichkeit der Handlung gibt es viele schöne Momente und Bilder, eine grandiose Talking-Heads-Performance und Penns phlegmatisch hingenuschelte Dialoge, die den Kinobesuch lohnen. Gerade die letzte Szene bleibt jedoch äußerst befremdlich: Will der Film uns im Ernst weismachen, dass Cheyenne, den wir im Laufe des Films als Freak lieb gewonnen haben, endlich erwachsen wird, indem er Gothic-Mob und Grusel-Make-up ablegt - und plötzlich aussieht wie Sean Penn?

A Dangerous Method
Im überheizten vollen Kino befiel mich starke Müdigkeit. Hinzu kam, dass es sich leider um keinen echten Cronenberg mit belebenden Schock- und Ekelmomenten handelte: A Dangerous Method ist die eher biedere Verfilmung eines Theaterstücks mit langen, zähen Dialogen. Allerdings wartet er mit tollen Schauspielern auf: dem derzeit omnipräsenten Michael Fassbender als Jung und Viggo Mortensen als Freud.
Keira Knightley agiert als hysterische Patientin knapp an der Schmerzgrenze. Trotzdem bin ich zweimal eingenickt. Aber es heißt ja, dass man nur dann gut schlafen kann, wenn man dem Film vertraut.

Fenster zum Sommer
Die deutsche Produktion erzählt die geheimnisvolle Geschichte einer Frau (Nina Hoss), die eine sonnendurchflutete Sommerromanze in Finnland erlebt - und plötzlich ein halbes Jahr früher im tristen Berliner Winter aufwacht. Nun muss sie alles daran setzen, ihren Traum vom Sommerglück doch noch wahr werden zu lassen. Von der Grundprämisse aus könnte das durchaus spannend und originell sein, der Film verzettelt sich aber zu sehr im schicksalshaft-Unentrinnbaren und dem Klischee, dass es im Leben eben doch nur den einen Richtigen geben kann. So wird dem pedantischen Gewohnheits-Ehemann (Lars Eidinger) ein charismatischer, feinsinniger Traumpartner (Mark Waschke) gegenüber gestellt - und jeder echte Konflikt vermieden.  Ein Mystery-Thriller für Brigitte-Leserinnen - mit, zugegeben, sehr schönen Bildern.

The Adventures of Tintin: The Secret of the Unicorn
Ja, ich gebe es zu: Schon als kindlicher Tim und Struppi-Leser hatte ich eine Schwäche für Kapitän Haddock. Und auch in Spielbergs neuem aufwendig animiertem Film ist der fluchende, alkoholabhängige Seemann bei weitem die anrührendste Figur. Ansonsten ist die Verfilmung zu sehr reines Action-Spektakel, um dem harmlos-nostalgischen Charme der Vorlage gerecht zu werden. Allerdings gibt es eine wirklich grandiose Szene, in der Bianca Castafiore vor atemberaubender Wüstenkulisse die Glaswände des "Einhorn"–Tresors zersingt. Da spürt man die Handschrift des Altmeisters Spielberg.

Contagion
Soderberghs realistisch anmutender Ensemble-Film über die Ausbreitung einer Massenepidemie ist solide geraten und leidlich spannend. Manchmal beschleicht einen  das Gefühl, eine Dokumentation zu dem Thema wäre interessanter gewesen. Allerdings ist Contagion ein wahres Fest für Gwyneth-Paltrow-Hasser! Bleich, verquollen und rotnasig quält sie sich herum, bevor sie bereits nach fünf Minuten als erstes Opfer der Killer-Infektion sterben muss. Später gibt es dann noch eine hübsche Rückblende: Fröhlich lächelnd schüttelt sie einem schmuddeligen, chinesischen Koch, der gerade ein verseuchtes Schwein ausgenommen hat, die infektiöse Hand. So wird sie zur Patientin Zero, die dank ihrer ehebrecherischen Aktivitäten die halbe Welt mit einem tödlichen Virus ansteckt. Glückwunsch zur undankbarsten Rolle des Jahres!

Melancholia
Fast hätte ich vergessen, ihn zu erwähnen: Melancholia ist, wie fast alle Filme von Lars von Trier, natürlich großartig, intensiv und einzigartig. Von Trier ist vielleicht der letzte große Autorenfilmer Europas und Melancholia hat die Aufmerksamkeit, die ihm durch die von den Medien hysterisch hochgespielten Nazi-Bemerkungen des Regisseurs zuteil wurde, auf jeden Fall verdient. Ausgeklügelte, albtraumhafte Bildkompostionen, Kirsten Dunsts intensive Studie einer Frau, die an ihrem Hochzeitstag zwischen überschwänglichem Glück und tiefster Depression schwankt - um dann im apokalyptischen Nahen des Melancholia-Planeten ihre Ruhe zu finden. Den Film sollte man sich auf jeden Fall im Kino ansehen - und nicht etwa als Raubkopie auf dem Handy oder dergleichen. An dieser Stelle sei auch noch mal auf von Triers noch interessanteren Film Antichrist hingewiesen, der seinerzeit zu Unrecht im Kino etwas unterging. Es gab wohl noch nie einen Film, der sich derartig packend mit dem Gefühl der Angst und der Abgründigkeit von Sexualität beschäftig hat, wie dieser.