7. Juli 2011

No Sex, please? Teil 2: Kino-Romantik vs. Cyber-porn

Was ist so schlimm daran, dass filmischer Sex vor allem im Internet konsumiert wird? Die Kino-Leinwand bleibt sauber,  reserviert für romantische bis heroische Gefühle, überwältigende Spezialeffekte und brutale Action. Die erotischen Kicks kann, wer will, sich zu Hause vorm Computer holen. Eine beunruhigende Abspaltung findet statt. Filme, die im Kino laufen, erzeugen öffentliche Diskurse - in Form von persönlichen Gesprächen nach dem Kino, Kritiken, Diskussionen usw.  Film ist eine kulturelle Praxis, über die sich eine Gesellschaft definiert und daher auch, zumindest potentiell, politisch. Das Pornografische dagegen wird, da es einfach online abrufbar geworden ist, zum rein privaten Phänomen in den eigenen vier Wänden. Durch die Anonymität bietet das Internet dem Konsumenten Schutz vor Entdeckung, niemand muss mehr über seine Sehgewohnheiten Rechenschaft ablegen. Man denke an den Arbeitskollegen, der in den 70ern noch mit hochrotem Kopf beim Besuch einer Kinovorstellung vom Letzten Tango in Paris ertappt wurde - oder die Nachbarin, die in den 90ern in der Kassenschlange der Videothek verschämt einen Lesbenporno zu verbergen suchte. Durch die Heimlichkeit des Konsums, , bleibt jeder Skandal, jede Diskussion aus, seien die Clips auch noch so verstörend und krank.

Die Aufspaltung in die Bereiche Gefühle/Film/Kino einerseits und Sex/Porno/Internet andererseits ist problematisch, weil es die klassische Trennung zwischen Kopf und Körper, Geist und Lust, Intellekt und Trieb, Öffentlichkeit und Privatsphäre zementiert. Anders als in den 70er, 80er und90er Jahren wird im Kommerzkino der Nuller und Zehner Jahre das, was der Held und die Heldin nach dem Kuss miteinander tun, konsequent ausgeblendet.  Wie einst in den 50ern wird es gänzlich der Fantasie der Zuschauer überlassen.  Sexualität wird mystifiziert und das Geschlechtliche zu etwas Unzeigbarem deklariert (im Kontrast zu immer detaillierteren, realistischeren Gewaltdarstellungen). Dennoch werden die Darsteller bzw. Stars nach wie vor (und vielleicht mehr denn je)  sexuell aufreizend und mit scheinbar makellosen Körpern inszeniert. Der Sex soll in unserer Fantasie bleiben - perfekt, unbeschmutzt, unerreicht. Wir wissen genau, mit unseren eigenen abstoßenden Instinkten, unseren unperfekten Körpern und üblen Gerüchen, können wir uns niemals an dem ausgeblendeten Sex messen, Identifikation unmöglich. Das Publikum wird permanent angeteaset, es kommt niemals zur Entladung.

Pirates of the Carribean 4 wartet mit der erotisch potentiell interessanten Paarung von Johnny Depp und Penelope Cruz auf. Doch zwischen den beiden Stars kommt es  im Film nicht einmal zm Kuss, obwohl die beiden auf Plot-Ebene als klassisches Hass-Liebe-Paar mit unresolved sexual tensions angelegt sind: Jack Sparrow entführte die schöne Nonne einst aus dem Kloster und entjungferte sie. Doch das ist in dem Film lediglich eine alte Geschichte - und anstatt dass zwischen den beiden erneut die Funken sprühen, verrennt Penelope sich in einen lächerlichen Vaterkomplex und Johnny Depp hampelt albern durch die Gegend. Da knistert es mehr zwischen dem jugendlichen Spiegelbild-Paar, dem gutgebauten idealistischen, jungen Pfarrer Philip und der betörend schönen Meerjungfrau Syrena. Doch auch zwischen diesen beiden kommt es natürlich nicht zu mehr als einem Kuss  - schließlich befinden wir uns in einem Disney-Film. Interessant ist jedoch, wie der Film mit seiner offensiv beworbenen Meerjungfrauen-Erotik umgeht.

So begeben sich in einer Sequenz im ersten Teil des Films einige Matrosen in einem Boot auf die Jagd nach Meerjungfrauen (deren Tränen der Schlüssel zum Brunnen der ewigen Jugend sein sollen). Dabei erzählen sie sich eine Legende: Angeblich schnappen die Sirenen sich gerne Matrosen, um sich zunächst ordentlich mit ihnen zu vergnügen - bevor sie sie zu sich hinab in die Tiefe ziehen, ertränken und verspeisen – möglicherweise auch in anderer Reihenfolge... Schon bald lässt sich tatsächlich das erste attraktive Meermädchen blicken. Das Nippel-Problem, das üblicherweise durch tief herabhängende Haare gelöst wird, wird durch eine Schwanzbeschuppung bis zum Dekolletee kaschiert). Zunächst werden die Seeleute klassisch mit Gesang becircet - doch als der erste Seemann sich zu einem Kuss herabbeugt, geht die Jungfrau mit gefletschten Vampirzähnen unmittelbar zur Attacke über. Plötzlich lassen sich immer mehr zähnefletschende Seejungfern blicken und es beginnt ein gewaltiges Beißen, Morden und Zerfleischen. In ihrem Blutrausch haben es die Meerjungfrauen ganz vergessen, auch den ersten Teil der Legende wahr werden zu lassen: hier verlustiert sich niemand sexuell. Gut, vielleicht sollte man in einem Disney-Film keine explizite Fleischeslust erwarten, aber auch hier gilt: zunächst wird das Publikum erotisch heißgemacht – um dann mit exzessiver Gewalt abgespeist zu werden.