23. Juni 2011

No Sex, please? Teil 1

Es wird nicht mehr gefickt auf der Leinwand. Jedenfalls immer weniger. Geküsst wird auch nur noch ganz selten - und wenn, dann ohne Zunge. Im amerikanischen Mainstream der letzten Jahre gibt es immer weniger Sex, dafür umso mehr Gewalt. Und langsam kommt dieser puritanische Trend auch im europäischen Kino an. Zunehmend macht sich beim Teeniepublikum hierzulande Unbehagen breit, wird nicht gleich abgeblendet, wenn es zur Sache geht.

Da ging es noch zur Sache: Julie Christie und Donald Sutherland  in Don't look Now, 1973.
Sex im Film ist offenbar nicht mehr angesagt, seine Darstellung wird als peinlich oder lächerlich empfunden, die Zuschauer fühlen sich darüber erhaben - und quengeln, bis es mit der Action endlich weiter geht. In Filmen, die sich an ein weibliches Publikum richten, geht es meist um ein endloses Herauszögern des ersten Kusses, um ein permanentes Verschieben des ersten Mals. Das Aufsparen der Jungfräulichkeit und die Enthaltsamkeit werden glorifiziert wie z. B.in der erfolgreichen Twilight- Reihe. Ständig wird geteaset, doch es kommt nie wirklich zum Release - außer in Gewaltexzessen.

Szenen, in denen Menschen brustalst gemordet, zerfleischt oder gefoltert werden, ohne die mittlerweile kaum ein Actionfilm oder Thriller auskommt, bereiten offenbar weniger Probleme.  Geht es aber um entblößte weibliche Brustwarzen,  Zungenküsse oder gar Genitalien werden diese  mit der spitzen Schere des Zensors gnadenlos herausgeschnitten  -  ähnlich wie im Torture-Porn. Doch auch diese Art der Zensur wird vermutlich bald obsolet, da die Schere sich bereits im Kopf einer neuen Generation junger Hollywood-Filmemacher etabliert hat. Für eine Sexszene würde heutzutage niemand mehr ein R-Rating riskieren. Tatsächlich sind die amerikanischen Mainstreamproduktionen der letzten Jahre so sauber wie schon seit den 50er Jahren nicht mehr. Da man davon ausgehen kann, dass die Filmindustrie  äußerst sensibel auf  den aktuellen Publikumsgeschmack reagiert, besteht  offenbar kaum noch Bedarf  an erotischen filmischen Bildern. Ist es nun so, dass das junge Publikum - denn auf dieses zielt der Mainstream ab -  derartig  aufgeklärt ist, dass es bei dem Thema Sex nur müde abwinkt? Hat es gar  selber ständig so befriedigenden und häufigen Geschlechtsverkehr, dass es auf die visuellen Repräsentationen im Kino getrost verzichten kann?

Afterglow in den goldenen 70ern - nach der berühmten Sex-Szene in Don't Look Now.

Oder ist es vielleicht eher so, dass sich der filmische Sex lediglich der Öffentlichkeit der Kinoleinwand (und des gesellschaftlichen Diskurses) entzogen und sich in die Privatheit der eigenen vier Wände des Online-Konsums
verabschiedet hat? Nie zuvor war es für Jugendliche derartig einfach, an pornografische Darstellungen von Hardcore-Sex zu kommen. Auf PCs in Jugendzimmern und als Handy-Download auf Schulhöfen werden diese exzessiv konsumiert. Gangbang, S/M oder Bukkake gehören zum Vokabular von Zwölfjährigen. Eine Generation, die sehr früh mit allen Spielarten der Pornografie überflutet und überfordert wurde. Wie verhält sich diese massenhafte Verbreitung pornografischer Clips zum schleichenden Aussterben sexueller Darstellungen auf der Kinoleinwand?