24. Mai 2014

PAMPHLET FÜR EIN TEMPORÄRES FELD

Text vom 24.5.2014 anlässlich des Volksbegehrens zum Tempelhofer Feld

Seit mehr als 25 Jahren lebe ich in Berlin – und es war nie nötig wegzuziehen, denn es wurde überhaupt nie langweilig. Seit ich 1988 in der grauen Mauerstadt Westberlin ankam, hat sich alles permanent gewandelt, mal zum Guten, mal zum Schlechten, mal egal. Berlin ist, und war schon immer, die Hauptstadt des Unfertigen, Provisorischen, Temporären – das macht seinen Charme aus. Wie oft musste ich schon von liebgewonnenen Orten Abschied nehmen? Der große Flohmarkt (siehe Foto) Anfang der 90er Jahre im Schlamm (bzw. Staub) des noch unbebauten Potsdamer Platzes, wo sich sonntags die damals noch recht überschaubare "Szene" traf. Wir waren untröstlich als wir von den Bebauungsplänen erfuhren.

War auch mal eine Brache: Der Potsdamer Platz Anfang der 90er.
Dann das legendäre Ostgut, das einer scheußlichen Mehrzweckveranstaltungs-Arena weichen musste, und dem wir so sehr hinterherweinten, bis es vier Jahre später endlich seine Wiederauferstehung im neuen Technotempel Berghain feierte. Und die Bar 25, die, von ihrem idyllischen Ursprungsort vertrieben, auf der anderen Seite der Spree als Kater Holzig ihr temporäres Lager aufschlug und nun in neuer Form und wesentlich grandioser an ihren Entstehungsort zurückkehrt. Viele von Berlins romantischen Industriebrachen erlebten Niedergang und Wiederauferstehung. Immer wieder wurden neue aufregende Orte erschlossen, die die alten in Vergessenheit geraten ließen. Gerade das Temporäre und Prekäre dieser Orte machte ihren besonderen Reiz aus. Das Bewusstsein, dass es nicht ewig so weitergehen wird, ließ sie schon von Beginn in einem nostalgischen Licht erstrahlen. Denn umso intensiver wird der Moment gelebt und geliebt, wenn morgen schon alles vorbei sein kann. Man denke nur an die unzähligen Male, die die legendäre Kreuzberger O-Bar ihre allerletzte Nacht feierte. (ein Feierprinzip, das die Bar 25 Jahrzehnte später kopieren sollte)

Ist es nicht auch beim Tempelhofer Feld so, dass es vor allem durch die Bedrohung seines gegenwärtigen Zustands für viele kostbar und erhaltenswert erscheint? Schriebe man die jetzige Situation für immer fest (wie es der Gesetzesentwurf der Initiative vorsieht), ginge dann nicht sein prekärer Charme verloren? So verpasst das Feld seine Chance, eine Legende zu werden, von der man sich Jahr später Geschichten erzählen könnte, wie von all den anderen verschwundenen mythischen  Orten Berlins: es war einmal ein unbebautes Feld mitten in der Großstadt.

Ein brachliegendes Feld und freien Blick zum Horizont findet man im Prinzip auch, wenn man ein paar Kilometer aus der Stadt rausfährt. Falls der jetzige Status festgeschrieben wird, ist es vorbei mit den Spekulationen, was an diesem Ort noch alles möglich gewesen wäre: ob nun die geplante Bibliothek, ein riesiger künstlicher See oder der schon etwas ältere genial-durchgeknallte Entwurf eines aufgeschütteten Bergs mit Ski- und Rodelpisten. Viele befürchten, dass sich die jetzigen, langweiligen Wohnviertelpläne des Senats durchsetzen, falls die Initiative verliert. Doch ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass es durch die zu erwartenden Proteste zu den berlinüblichen Bauverzögerungen und letztlich zu ganz anderen Plänen kommt? Etwas unsichere Perspektiven erscheinen mir allemal attraktiver, als die neue Tendenz, die Stadt in ihrem gegenwärtigen Zustand schockzufrosten.*

*Die zum Beispiel auch beim von David Hasselhoff unterstützen Massenprotest gegen das Versetzen eines hässlich bemalten Teilmauerstücks zum Ausdruck kam. Worüber die Pläne für einer an gleicher Stelle vorgesehenen und sehr sinnvollen Fußgänger- und Radlerbrücke (die Bommy Brücke) leider untergingen. Ein Rätsel ist es mir auch, wo all die Protestler waren, als der disneyhafte Wiederaufbau des grässlichen Stadtschlosses und der Abriss des Palasts der Republik, eines der wenigen erhaltenswerten Monumente dieser Stadt, beschlossen wurde.